45. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie
„Pneumology reloaded – Lunge voraus“

Rund anderthalb Jahre „Corona-Pandemie“ liegen hinter uns und der wissenschaftliche Austausch über die neuesten Erkenntnisse in Bezug auf SARS-CoV-2 und COVID-19 ist nach wie vor von enormer Bedeutung. Aus diesem Grund wird COVID-19 auf der Jahrestagung der österreichischen Lungenfachärzte* (6. bis 8. Oktober) ein Schwerpunktthema sein. Aber auch viele andere wichtige Themen und „Hot Topics“ rund um Lunge, Atemwege und ihre Erkrankungen dürfen trotz der aktuellen Dominanz des Themas Pandemie nicht zu kurz kommen und werden auf der Tagung, die auch heuer virtuell stattfindet, von Referenten aus dem In- und Ausland interdisziplinär und interprofessionell behandelt. Im Rahmen einer Pressekonferenz anlässlich der 45. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie (ÖGP) wurden der aktuelle Wissensstand rund um COVID-19 aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet sowie die weiteren Kongressthemen im Überblick vorgestellt.

Kinder in der Pandemie – Long-COVID auch bei Kindern ein Thema

„Eine der Erkenntnisse, die wir im vergangenen Jahr im Zusammenhang mit Kindern und COVID-19 gewonnen haben, ist, dass ‚Long COVID‘ auch bei ihnen auftreten kann“, so Tagungspräsident Prim. Univ.-Prof. Dr. Ernst Eber, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie. Das Spektrum ist dabei sehr heterogen und reicht von geringen Befindlichkeitsstörungen bis hin zu massiven Einschränkungen.

Zur Frage der Gefährlichkeit von COVID-19 für Kinder meinte Prof. Eber, Vorstand der Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde und Leiter der Klinischen Abteilung für pädiatrische Pulmonologie und Allergologie an der Medizinischen Universität Graz: „Die akute Corona-Erkrankung ist für Kinder ohne Grunderkrankung in der Regel nicht sehr bedrohlich. Anders ist das bei Kindern mit schwerer Grunderkrankung, v.a. mit neuromuskulären Erkrankungen, oder beim sogenannten Hyperinflammationssyndrom.“ Letzteres kann 3-6 Wochen nach einer SARS-CoV-2 Infektion auftreten und ist durch eine Multiorganbeteiligung gekennzeichnet. Eber: „Aus österreichischen Berechnungen wissen wir, dass ca. 1 von 1.000 infizierten Kindern/Jugendlichen ein Hyperinflammationssyndrom entwickelt. Andere Quellen sprechen von 1:4.000-5.000.“

Kinder sind keine Pandemie-Treiber

Ob das Risiko für eine Infektion für Kinder tatsächlich geringer ist als für ältere Personen, sei noch immer nicht restlos geklärt, so Eber. Jedenfalls seien Kinder keine „Pandemie-Treiber“, betonte er. „Das zeigen Studien, Cluster-Analysen und Schultests. Die wesentlichen Pandemie-Treiber sind Super-Spreader, also einzelne Infizierte, die eine Vielzahl von anderen Personen infizieren, und Kinder wurden bisher nicht als Super-Spreader berichtet.“ Eber plädierte dafür, die Schulen offenzuhalten: „Es ist der Mehrheit der Entscheidungsträger klar geworden, dass Schulschließungen Kindern und Jugendlichen mehr Schaden zufügen als die Erkrankung und daher ein klarer Konsens besteht, dass Schulen geöffnet bleiben sollen. Da vulnerable Gruppen sich durch Impfungen schützen können, ist es nicht mehr notwendig, Schulen für den Gemeinschaftsschutz zu schließen. Durch regelmäßige Schultests können größere Cluster in Schulen verhindert werden und als Nebeneffekt können durch das anschließende „contact tracing“ Cluster in den Familien identifiziert werden. Und: Eine – evtl. durch das Schul-Screening – bei Schulkindern nachgewiesene Infektion ist nicht gleichbedeutend mit einer in der Schule akquirierten Infektion.“

COVID-19 Impfung bei Kindern

Für Kinder ab 12 Jahren stehen zurzeit die beiden mRNA-Impfstoffe Comirnaty® und Spikevax® zur Verfügung. Die Zulassung von Comirnaty® für Kinder ab 5 Jahren wird für die USA für Oktober 2021 erwartet. Eber machte klar: „Impfungen von Kindern sind wichtig für den Individualschutz, also zur Verhinderung der schwereren Verläufe und des zwar wahrscheinlich seltenen aber durchaus beeinträchtigenden ‚Long COVID‘. Die Impfung ist vor allem für Kinder mit Risikofaktoren wichtig, aber auch für ältere Kinder und Jugendliche, weil diese ein höheres Risiko für protrahierte Verläufe und die Entwicklung eines Hyperinflammationssyndroms haben als jüngere Kinder. Und selbstverständlich ist die Impfung von Kindern auch für den Gemeinschaftsschutz wichtig.“ Solange eine umschriebene Bevölkerungs-(Alters-)gruppe nicht geimpft ist, wird das Virus dort grassieren, betonte Eber, selbst wenn alle anderen Altersgruppen geimpft wären. Bezüglich der Impfung jüngerer Kinder müsse man sich die Sicherheitsdaten und Anwendungserfahrungen ansehen, um eine Nutzen-Risikobewertung vorzunehmen.

Erfolgversprechende Medikamente bei COVID-19 – was können wir unseren Patienten heute anbieten?

„War der – mediale – Fokus im letzten Jahr vor allem auf die Entwicklung der Impfung gerichtet, werden in diesen eineinhalb Jahren Pandemie natürlich auch bezüglich der Behandlung und medikamentösen Therapie von COVID-19 globale Anstrengungen unternommen und neue Erkenntnisse gewonnen“, so Prim. Priv.-Doz. Dr. Bernd Lamprecht, Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie. Insgesamt werden derzeit mehr als 1.550 Substanzen als Kandidaten für eine mögliche Therapie von COVID-19 betrachtet. 28 dieser Substanzen haben bereits eine ordnungsgemäße Zulassung oder Notfallzulassung erhalten. Dazu zählen antivirale Präparate, antientzündliche bzw. immunmodulatorische Präparate, die dämpfend auf das überschießende Immunsystem wirken, antithrombotische Therapeutika sowie Antikörper zur passiven Immuntherapie. Hier kommt übrigens, neben den aus Rekonvaleszentenplasma gewonnenen Antikörpern gegen Sars-CoV-2, zunehmend eine größere Anzahl künstlich hergestellter monoklonaler Antikörper zum Einsatz.

„Die größte Anzahl klinischer Studien ist derzeit unter antiviralen Substanzen zu verzeichnen: 248 Studien sind derzeit in der Phase 3 und weitere 84 in der Phase 4 im Gange. Neben bekannten antiviralen Substanzen, die im Rahmen des Repurposing[1] für die Behandlung von COVID-19 untersucht werden, befinden sich auch neue Substanzen in Entwicklung,“ erläuterte der Vorstand der Universitätsklinik für Lungenheilkunde am Kepler Universitätsklinikum den Forschungs- und Entwicklungsstand.

Trotz großer Fortschritte in der Therapie – Impfung dennoch unerlässlich

Lamprecht legte dar, dass die Medizin dem Ziel, diese schwere Erkrankung besser behandeln zu können, in den vergangen eineinhalb Jahren deutlich näher gerückt ist. Eine einfach applizierbare „Wunderwaffe“ mit 100%iger Wirksamkeit konnte jedoch bislang nicht entdeckt bzw. entwickelt werden. „Wir sollten daher nicht vergessen, dass uns im Gegensatz zu vor einem Jahr heute verschiedene hochwirksame Impfstoffe zur Verfügung stehen, die zwar keinen hundertprozentigen Schutz vor der Erkrankung bieten, aber jedenfalls zu einem milderen Krankheitsverlauf führen und auch die Verbreitung des Virus reduzieren. So viele Menschen wie möglich sollten daher das Impfangebot wahrnehmen, da die Prävention der Reparaturmedizin deutlich überlegen ist.“

Mutationen von COVID-19

„Der Wildtyp von Sars-CoV-2, also die ursprüngliche Variante, die sich von Wuhan aus weltweit verbreitete, spielt heute beim Infektionsgeschehen kaum noch eine Rolle. Mittlerweile ist das Virus tausendfach mutiert. Ein ganz normaler Vorgang für ein Virus, denn bei der Vermehrung, also der Teilungen von vielen Milliarden Viren muss es zwangsläufig zu ‚Kopierfehlern‘ der Erbinformation und somit zum Auftreten von Mutationen kommen“, erläuterte der deutsche Pneumologe und Infektiologe Prof. Dr. Tobias Welte, Past Präsident der European Respiratory Society (ERS) und Vorstand der Klinik für Pneumologie, Medizinische Hochschule Hannover.

Diese Virusvarianten, die nach Buchstaben des griechischen Alphabets benannt werden, stehen unter strenger Beobachtung der Wissenschaft (WHO): Da sie andere Eigenschaften als der Wildtyp bzw. ihre „Vorgänger“ aufweisen können, können sie auch gefährlicher sein.

„Während die ursprüngliche Virusvariante die erste und zweite Welle dominierte, dominierte in der dritten Welle um Weihnachten 2020 eine neue Virusvariante, die Alphavariante, die die klassische Variante schnell verdrängte“. Diese war deutlich ansteckender (um ca. 40-50%), jedoch ohne krankmachender zu sein. Aus unklaren Gründen infizierte die Alphavariante junge Menschen mehr als die klassische Variante; in der Folge sank das mittlere Alter der Infizierten.

Heute dominiert die ursprünglich von Indien ausgehende Deltavariante, die noch einmal deutlich ansteckender als Alpha ist und sich in kürzester Zeit weltweit verbreitete. Welte: „In Deutschland werden aktuell 99,7% aller Infektionen dadurch ausgelöst.“

Deltavariante – vollständig Geimpfte gut geschützt

Doch trotz der hohen Inzidenzzahlen kam es nur zu einem moderaten Anstieg der Hospitalisierungsrate und zu keiner Überlastung der Intensivkapazitäten, da die Delta-Welle in Europa auf eine zu großen Teilen geimpfte Bevölkerung traf. Welte: „Auch wenn eine Rate von rund 70% vollständig geimpfter Personen über 12 Jahre weit entfernt von einer Herdenimmunität ist, ist die Schutzwirkung doch erheblich.“ Es erkranken jetzt eher nur noch Jüngere (Kindergarten und Schulen) und Ungeimpfte bzw. nicht vollständig Geimpfte: Bei unvollständiger Impfserie (nur eine von zwei Dosen) wurde eine stark verringerte Wirksamkeit gegen die Deltavariante nachgewiesen.

Welte: „Natürlich entstehen täglich neue Varianten, etwa 20 davon werden von der WHO beobachtet, wie beispielsweise My in Kolumbien oder Kappa in Asien. Ob diese Varianten jedoch das Potential haben, die jetzt dominante Deltavariante zu verdrängen, ist unklar. Momentan gibt es dafür keine Anzeichen, dennoch kann das natürlich passieren. Allerdings können mit der heutigen Impfstofftechnologie Impfstoffe schnell an neue Varianten angepasst werden. Unstrittig bleibt die Tatsache, dass die Coronapandemie selbst und insbesondere die Entwicklung neuer Varianten nur durch eine umfassende Impfung beherrschbar werden können.“

Antibiotikaresistenzen als Gefahr bei Superinfektionen

Eine zweite infektiologische Problematik, die vor Corona die Diskussionen bestimmt hat, ist etwas in den Hintergrund getreten, nämlich die zunehmende Resistenz wichtiger Erreger gegenüber Antibiotika, erläuterte Welte: „Dabei spielen klassische bakterielle Erreger bei Corona durchaus eine Rolle. Aufgrund der Epithelschädigung, die bei schweren Verläufen durch das Virus ausgelöst wird, kann es zu einem Eindringen bakterieller Erreger in die Lunge kommen. Gerade bei beatmeten Patienten geschieht das zwischen dem fünften und zehnten Beatmungstag, hier dominieren vor allem gramnegative Erreger wie Klebsiella pneumoniae oder Pseudomonas, bei denen die Resistenzrate hoch ist und die damit schwer zu behandeln sind. Die Komplikation einer bakteriellen Zweitinfektion verdoppelt dabei das Sterberisiko.“ Abschließend betonte Welte, dass, bei aller Wichtigkeit der Coronaproblematik, daneben nicht vergessen werden darf, auch in anderen Bereichen der Medizin zu forschen und die dafür notwendigen Mittel zu investieren.

Pneumology reloaded – Lunge voraus

ÖGP-Präsident Eber stellte auch den Kongress im Überblick vor: „Obwohl wir mittlerweile gelernt haben, mit der COVID-19 Pandemie und ihren Auswirkungen umzugehen, haben wir uns nach sehr gründlichen Überlegungen dafür entschieden, die Tagung auch heuer wieder im sicheren virtuellen Raum stattfinden zu lassen. Dies im Bewusstsein der wichtigen Rolle, welche die von uns repräsentierten Berufsgruppen gerade in einer Pandemie in unserem Gesundheitssystem innehaben, und damit auch der Verantwortung, die wir mit einer solchen Veranstaltung tragen.“

Neben COVID-19 umfasst das Programm aber natürlich auch andere „Hot Topics“ und Updates zu einem breiten Themenspektrum, das die gesamte Breite der Pneumologie widerspiegelt: neue Erkenntnisse zu COPD, zum Themenkomplex Klimawandel und Allergien, zu Asthma bronchiale, zystischer Fibrose oder in der Diagnostik (z.B. elektromagnetische Navigationsbronchoskopie) werden genauso Themen des wissenschaftlichen Diskurses sein wie Trends in der Schlafmedizin, das weite Feld der interstitiellen Lungenerkrankungen, Erkrankungen durch Schimmelpilze oder neue Entwicklungen in der Therapie von Lungenkrebs. Auch die Themenkreise Prävention (z.B. Update: Tabakrauch und Nikotin) und Rehabilitation sowie Palliativmedizin werden im Zuge der Jahrestagung präsentiert.

Eber abschließend: „Wir sind überzeugt, dass wir einer ganz besonderen, interessanten und spannenden gemeinsamen Jahrestagung der ÖGP und der OGTC entgegensehen und freuen uns darauf, auch Sie als Vertreter der Presse in möglichst großer Zahl „on air“ auf unserer Jahrestagung begrüßen zu dürfen!“

45. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie
6.-8. Oktober 2021, VIRTUELL
Infos zum Kongressprogramm: www.ogp-kongress.at

* Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde im Text auf eine gendergerechte Schreibweise verzichtet. Sofern nicht anders vermerkt, gelten alle Bezeichnungen für sämtliche Geschlechter.

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  • Die Texte zu den einzelnen Referaten, Fotos und CV der Vortragenden zum Download
  • Video-Aufzeichnung der virtuellen Pressekonferenz ab dem frühen Nachmittag verfügbar

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[1] „Repurposing“, auf Deutsch „Umnutzung“; bewährte Wirkstoffe, die eigentlich für andere Indikationen entwickelt und zugelassen wurden, werden auf ihre Wirksamkeit bei COVID-19 hin untersucht.