Jahrestagung 2016 – Atemstillstände während des Schlafs als Risikofaktor für den Straßenverkehr
Neue gesetzliche Regelung zur Führerscheingesetz-Gesundheitsverordnung schreibt ärztliche Kontrolluntersuchungen für Schlafapnoe-Patienten vor
Atemstillstände (Apnoen) während des Schlafs gelten als Ursache für eine Reihe anderer Erkrankungen mit durchaus lebensbedrohlichen Folgen. Nun hat auch der österreichische Gesetzgeber den Umgang mit der Gefährlichkeit der Atemaussetzer während des Schlafes für den Straßenverkehr mittels eines neuen Bundesgesetzblattes geregelt. Welche Folgen können Schlafstörungen wie die Schlafapnoe aber nun tatsächlich für die Verkehrssicherheit haben? Was sagen nationale und internationale Daten zum Risikofaktor „Tagesmüdigkeit als Unfallursache“? Wie ist mit dem neuen gesetzlichen Rahmen umzugehen? Was bedeutet das für die Verschwiegenheitspflicht von Ärzten bzw. für den Datenschutz? Was bedeutet dies für Berufskraftfahrer wie Bus- oder LKW-Fahrer?
Gefährliches Schnarchen
Zumindest 10% der österreichischen Bevölkerung leiden, zumeist ohne es zu wissen, an einer gefährlichen schlafbezogenen Atemstörung, der sogenannten Schlafapnoe (A-Pnoe, griechisch: ohne Atem). Bei ihnen setzt die Atemtätigkeit während des Schlafes phasenweise aus. Diese Atemaussetzer können sich zu richtigen Atemstillständen von bis zu 120 Sekunden ausdehnen. Es folgen Phasen der Hyperventilation (übermäßiges Luftholen).
Univ.-Prof. Dr. Michael Studnicka, Past President der ÖGP und Vorstand der Universitätsklinik für Pneumologie/Lungenheilkunde am Landeskrankenhaus Salzburg: „Das Schlafapnoe-Syndrom zählt – wie das normale Schnarchen – zu den schlafbezogenen Atmungsstörungen, allerdings sind die Schnarchgeräusche bei einer Schlafapnoe besonders laut und unregelmäßig. Oft fallen den Partnern die Atemstillstände auf, die die Betroffenen selbst ja nicht bewusst wahrnehmen.“
Die dadurch immer wieder unterbrochene Sauerstoffversorgung führt zu ständigem Stress während der Schlafperioden (die Betroffenen kämpfen mehrmals pro Nacht quasi „wie Ertrinkende ums Überleben“) und dadurch zu einer stark verminderten Schlafqualität: der Schläfer erwacht nicht ausgeruht, sondern erschöpft; quälende Tagesmüdigkeit ist eine der – gefährlichen – Folgen.
Besonders Männer über 50, die übergewichtig sind, sind von Schlafapnoe betroffen. Studnicka: „Übergewicht ist sicher der Hauptrisikofaktor für eine obstruktive Schlafapnoe. Werden innerhalb eines Jahres 10% des Körpergewichts zugenommen, erhöht sich die Inzidenz für eine obstruktive Schlafapnoe um den Faktor sieben“, so Studnicka.
Und weiter: „Abgesehen von diversen, mitunter lebensbedrohlichen Erkrankungen, die mit einer Schlafapnoe in Zusammenhang stehen – wie Bluthochdruck, Lungenhochdruck, stark erhöhtem Risiko für Herzkreislauf-Erkrankungen bis hin zum Herzinfarkt, um nur einige zu nennen – stellen Tagesmüdigkeit und verminderte Konzentrationsfähigkeit gerade im Straßenverkehr ein nicht zu unterschätzendes Risiko dar!“
Risikofaktor Tagesmüdigkeit als Unfallursache
Neurophysiologische Untersuchungen zeigen ganz eindeutig, dass man, schon wenn der Schlaf drei Mal pro Nacht unterbrochen wird, am nächsten Tag nicht mehr verkehrstüchtig ist. Studnicka: „Dabei ist egal, wodurch der Schlaf gestört wird – sei es ihm Rahmen eines Nachtdienstes, bei dem man mehrmals geweckt wird, oder eben durch eine Schlafapnoe. Der gestörte Schlaf hat die gleichen Auswirkungen wie eine Alkoholisierung.“
Rund 10% der Verkehrsunfälle mit Todesfolge werden durch Müdigkeit am Steuer verursacht. Man schätzt, so der Experte weiter, dass der Hauptanteil davon eine direkte Folge schlafbezogener Atmungsstörungen wie Schlafapnoe ist. Studnicka: „Wenn man sich vor Augen führt, dass man bei 16 bis 30 Atemaussetzern pro Stunde Schlaf von einer moderaten, bei mehr als 30 von einer schweren obstruktiven Schlafapnoe spricht, kann man sich vorstellen, was dies für Tagesmüdigkeit und Konzentrationsfähigkeit bedeutet!“
Neue gesetzliche Regelung zur Führerschein-Gesundheitsverordnung
Der Gesetzgeber hat diesem Umstand nun Rechnung getragen. Basierend auf einer 2015 von der EU herausgegebenen Direktive, die in allen EU-Staaten umgesetzt werden muss, da der „Risikofaktor Tagesmüdigkeit“ nicht vor den Grenzen eines Staates halt macht, gibt es nun eine neue Verordnung des Verkehrsministeriums: Laut dem Bundesgesetzblatt vom 1. August 2016, 206. Verordnung des Verkehrsministeriums zur Führerscheingesetz-Gesundheitsverordnung, darf bei „Personen, bei denen der Verdacht auf ein mittelschweres oder schweres obstruktives Schlafapnoe-Syndrom…besteht,…eine Lenkberechtigung nur nach Einholung einer fachärztlichen Stellungnahme erteilt oder belassen werden“. Und: „Bei Personen, die ein mittelschweres oder schweres obstruktives Schlafapnoe-Syndrom aufweisen, ist die Lenkerberechtigung unter der Auflage von ärztlichen Kontrolluntersuchungen im Abstand von drei Jahren für eine Lenkerberechtigung der Gruppe 1 (Anm.: = nicht Berufsfahrer) und einem Jahr für eine Lenkerberechtigung der Gruppe 2 (Anm.: = Berufsfahrer) zu erteilen oder zu belassen.“
Studnicka erläutert: „Öffentlichkeit und Ärzteschaft müssen sich des Risikos bewusst werden, das von einer Schlafapnoe ausgeht: Neben diversen Risiken für die eigene Gesundheit stellt sie eine enorme Gefährdung für die Verkehrstüchtigkeit dar! Die neue Verordnung soll dazu führen, dass gefährdete Personen diagnostisch abgeklärt und einer geeigneten Behandlung zugeführt werden.“
Einfaches Screening-Tool zur Risikoabschätzung: Der NoSAS Score
Im Zuge der HypnoLaus-Studie, die im Februar 2016 in The Lancet Respiratory Medicine veröffentlicht wurde, erstellte das Team um Helena Marti-Soler eine Skala (NoSAS Score) , mit deren Hilfe der Verdacht auf das Vorliegen einer Schlafapnoe ohne aufwändige Tests abzuschätzen ist:
• Geschlecht: männlich
• Alter: über 55 Jahre
• Gewicht: Übergewicht (ab BMI >25 kg/m2)
• Berichtetes Schnarchen
• Halsumfang > 40 cm
Wenn zwei bis drei dieser Risikofaktoren zutreffen, liegt mit großer Wahrscheinlichkeit eine Schlafapnoe vor.
Berufsfahrer – eine potenzielle Risikogruppe?
Studnicka: „In Österreich gibt es rund 114.000 Berufskraftfahrer . Auf viele von ihnen werden zumindest zwei der oben genannten Risikofaktoren zutreffen: 1. Berufskraftfahrer sind zumeist Männer. 2. Auf Grund ihrer sitzenden Tätigkeit leiden sie unter Bewegungsmangel und sind dadurch oft übergewichtig.“
Und gerade Unfälle mit z.B. großen LKW haben zumeist verheerende Folgen. Abgesehen vom Leid der Unfallopfer und ihrer Angehörigen, haben auch die verantwortlichen Frächter ein enormes Risiko zu tragen. Stellt sich nach einem Unfall heraus, dass der Fahrer infolge einer durch eine Schlafapnoe verursachten Tagesmüdigkeit und den daraus resultierenden Konzentrationsstörungen den Unfall verursacht hat, kann es sein, dass die Versicherung nicht für den Schaden aufkommt. Studnicka: „Das kann, neben all dem menschlichen Leid, ein Unternehmen auch in den Ruin treiben. Wäre ich z.B. ein Frächter, würde ich meine Berufsfahrer, wenn Risikofaktoren vorliegen, schon aus Eigeninteresse unbedingt einer diagnostischen Abklärung zuführen.“
Abklärung unbedingt notwendig: NoSAS Score, Polygraphie und Polysomnographie geben Gewissheit
Dank des NoSAS Score gibt es nun auch ein leicht handzuhabendes „Instrument“ zur ersten Risikoabschätzung. Studnicka: „Jeder Berufsfahrer sollte mit diesem Screening-Tool untersucht werden, anlog zur Augenuntersuchung. Liegen zwei bis drei Risikofaktoren vor, muss der Betroffene zur weiteren Abklärung an einen Facharzt für Pulmologie, HNO, Neurologie oder einen Internisten überwiesen werden.“
Hier wird zuerst einmal eine sogenannte respiratorische Polygraphie gemacht. Der Patient wird für eine Nacht, die er zu Hause verbringen kann, mit einem Rekorder „verkabelt“, der verschiedene Werte wie Sauerstoffsättigung, Schnarch- und Atemgeräusche aufzeichnet. Die so erhobenen Daten werden dann vom Arzt ausgewertet. Ist eine weitere Abklärung erforderlich, wird der Patient ins Schlaflabor überwiesen. Nur dort kann eine Polysomnographie durchgeführt werden, die dann weitere wichtige Daten liefert, so zum Beispiel, in welchen Schlafphasen die Atemstillstände vermehrt auftreten, sowie eine Erfassung der Hirnströme während der gesamten Nacht (EEG). All dies gibt wichtige Informationen über die Art, Ursache und Schwere der Schlafapnoe.
Was tun bei Schlafapnoe – therapeutische Möglichkeiten
Die gute Nachricht lautet: Ist eine Schlafapnoe diagnostiziert, kann sie auch behandelt werden. Die Wirksamkeit der oft beworbenen Schnarchschiene, die, ähnlich einer Zahnregulierung nachts getragen wird und dafür sorgt, dass der Unterkiefer nicht nach hinten rutscht, ist allerdings gering, so der Experte, und sollte nur bei Scharchen ohne Apnoe-Phase zum Einsatz kommen oder bei leichten Formen, wenn die sogenannte CPAP-Maske (Abkürzung für Continuous Positive Airway Pressure) nicht akzeptiert wird. Das Mittel der Wahl bei einer echten Schlafapnoe stellt aber diese CPAP-Maske dar. Sie muss jede Nacht vor dem Schlafengehen über Mund und Nase gezogen werden und erzeugt einen Überdruck, der dafür sorgt, dass der Patient die ganze Nacht über ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird.
In den seltenen Fällen, in denen keine obstruktive, durch anatomische Gegebenheiten und Übergewicht verursachte sogenannte obstruktive Schlafapnoe vorliegt, sondern die sehr seltene zentrale Schlafapnoe, bei der der Steuerungsmechanismus des Gehirns nicht richtig funktioniert und nicht die notwendigen Atemimpulse sendet, kommt eine Atemmaske zum Einsatz, die die Ein- und Ausatmung unterstützt und den Atemrhythmus vorgibt. Dieser Unterschied spielt in der Praxis für den Patienten aber kaum eine Rolle.
Das neue Gesetz in der Praxis
Die Verordnung soll dazu führen, dass gefährdete Personen abgeklärt und behandelt werden. Die Lenkerberechtigung wird bei Vorliegen einer Schlafapnoe nur dann erteilt bzw. verlängert, wenn es regelmäßige ärztliche Kontrollen (bei Berufsfahrern jährliche) gibt und „eine geeignete regelmäßige Behandlung eingehalten“ wird.
Wie aber kann gewährleistet werden, dass z.B. der Berufsfahrer tatsächlich jede Nacht seine CPAP-Maske trägt? Prof. Studnicka: „Die Krankenkassen übernehmen ja die Kosten für die Leihgebühr der Maske. In dieser ist ein Chip eingebaut, dessen Auswertung unter anderem Aufschluss darüber gibt, ob und wie oft die Maske getragen wurde. Dies dient zum Nachweis für die Krankenkassen und somit kann auch überprüft werden, ob tatsächlich eine gute Adhärenz, also Therapietreue, besteht.“
Resümee
Abschließend fasste Prof. Studnicka zusammen: „Schlafapnoe verursacht Tagesmüdigkeit und Tagesmüdigkeit ist für 10% der Verkehrsunfälle mit Todesfolgen verantwortlich. Tagesmüdigkeit im Straßenverkehr ist gleichzusetzen mit einer Beeinträchtigung durch Alkohol. Die neue, auf einer EU-Direktive basierende Verordnung des Verkehrsministeriums soll dazu führen, dass Schlafapnoe-Patienten identifiziert und behandelt werden. Dadurch sollen Unfälle vermieden werden. Zur Risikoabschätzung, ob jemand an Schlafapnoe leidet, und somit zur Erst-Identifizierung ist der neu etablierte NoSAS Score ein hervorragendes Instrument.“
Als besondere Risikogruppe, in zweierlei Hinsicht, werden Berufsfahrer gesehen: Viele von ihnen passen ins Risikoprofil eines Schlafapnoe-Syndroms. Und: Gerade Unfälle mit Bus oder LKW haben meist fatale Folgen.
Studnicka: „Und wenn man es gesundheitsökonomisch betrachtet: Die Untersuchung im Schlaflabor kostet in etwa so viel wie zwei LKW-Reifen, die Behandlung mit einer CPAP-Maske für ein Jahr so viel wie eine LKW-Tankfüllung. Wenn man dem gegenüberstellt, dass ein Schlafapone-Patient, der mit einer CPAP-Maske behandelt wird, dann das gleiche Risiko bezüglich Tagesmüdigkeit wie eine Person aufweist, die nicht an Schlafapnoe leidet, ist das Geld hier mehr als gut investiert.“
Zum Schluss brachte Studnicka noch ein sehr anschauliches Beispiel: „Ein simpler Vergleich: Wenn jemand schlecht sieht, muss er, um verkehrstüchtig sein, eine Brille tragen. Genauso verhält es sich mit der Schlafapnoe: Wer daran leidet, muss, um verkehrstüchtig zu sein, in der Nacht seine CPAP-Maske tragen. Tut er das nicht, gibt es keine Lenkerberechtigung.“
Kontakt
Prim. Univ.-Prof. Dr. Michael STUDNICKA
Past-Präsident der ÖGP und Vorstand der Universitätsklinik für Pneumologie/ Lungenheilkunde am Landeskrankenhaus Salzburg, Tel.: +43 (0)662 4482-3300, E-Mail: m.studnicka@salk.at
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