ÖGP-Jahrestagung 2023

Es gibt inzwischen zahlreiche Belege dafür, dass sich das Geschlecht auf das Auftreten, die Symptome, die Diagnose und den klinischen Verlauf vieler Lungenerkrankungen auswirkt. So treten einige Erkrankungen, wie z. B. Asthma, bei Frauen häufiger als bei Männern auf. COPD wiederum ist in Ausprägung und Verlauf bei Frauen oft anders als bei Männern. Von Lungenerkrankungen wie z.B. Lymphangioleiomyomatose (LAM) sind fast ausschließlich Frauen betroffen. Und frauenspezifische Lebensphasen, wie Schwangerschaft und Menopause, aber auch bereits der hormonelle Wechsel während des Monatszyklus, können sich z.B. auf Ausbruch, Symptome und Verlauf diverser Lungenerkrankungen auswirken. ÖGP-Generalsekretärin Prim.a a.o. Univ.-Prof.in Dr.in Judith Löffler-Ragg wies im Rahmen der Pressekonferenz anlässlich der diesjährigen Jahrestagung der österreichischen Lungenfachärzte auf die Wichtigkeit der Beforschung des „kleinen Unterschieds mit oft großer Wirkung“ hin, um künftig entsprechend reagieren und geeignete Maßnahmen setzen zu können. Um das Verständnis für die Auswirkungen von Geschlecht und Gender auf Lungenkrankheiten zu fördern, hat die ÖGP heuer bei ihrer Jahrestagung erstmals eine eigene wissenschaftliche Sitzung eingeplant, die sich ausschließlich den geschlechtsspezifischen Unterschieden widmet.

Geschlecht und Gender bei Lungenerkrankungen oft nicht berücksichtigt

Es werde immer noch zu wenig berücksichtigt, so Löffler-Ragg, dass sich das biologische Geschlecht („Sex“ = Biologie, d.h. Anatomie und Physiologie) und das soziale Geschlecht („Gender“ = psychologische und soziale Ausrichtung) auf Gesundheit/Krankheit auswirken. „Beispielsweise sind hormonelle Einflüsse auf die Manifestation von Asthma in der Pubertät, Schwangerschaft und der Menopause mit dem weiblichen Geschlecht verbunden. Der Einfluss von Biomassebrennstoffen bei offenen Herden auf die Lungenphysiologie und Lungenkrankheiten bei Frauen in Ländern mit niedrigem Einkommen hängt wiederum mit der gesellschaftlichen Rolle der Frau zusammen und ist daher ein Gender Effekt“, erläutert Löffler-Ragg die Unterschiede. „Das Verständnis dieser Unterschiede ist der erste Schritt auf dem Weg zu einer geschlechtsspezifischen Präzisionsmedizin, die die unterschiedlichen Erfordernisse der – biologischen und sozialen – Geschlechter berücksichtigt“, erläuterte Löffler-Ragg, die die Abteilung für Pneumologie am LKH Hochzirl-Natters leitet.

Fehlende Daten und Forschungslücken

In den vergangenen Jahrzehnten wurden Geschlecht und Gender bei Studien nicht immer berücksichtigt. Das Ansprechen auf die Therapie und die Arzneimittelsicherheit können sich je nach Geschlecht unterscheiden und dennoch wurden geschlechtsabhängige pharmako-genomische Faktoren in klinischen Studien oft nicht angemessen berücksichtigt. Frauen waren in Studien häufig unterrepräsentiert und bei Männern erhobene Studienergebnisse wurden oftmals auf Frauen lediglich extrapoliert.

„Unterschiede hinsichtlich der Pharmakologie, also wie Medikamente in welchen Dosierungen bei Frauen wirken, blieben weitgehend unberücksichtigt. So wissen wir beispielsweise noch wenig über die Auswirkungen von Geschlecht oder Gender bei der Therapie verschiedenster Lungenerkrankungen“, bedauert Löffler-Ragg.

Es gibt einen Mangel an validen Daten. Nicht nur hinsichtlich der Therapie, sondern auch hinsichtlich der Unterschiede bei der Diagnostik: Wie präsentieren Frauen ein Krankheitsbild, welche Symptome haben sie? Löffler-Ragg: „Während es für Herz-Kreislauferkrankungen schon bedeutend mehr geschlechtsspezifische Daten gibt, haben wir bei der Lunge noch deutlichen Aufholbedarf.“

Kleiner Unterschied mit großer Wirkung

Wie wichtig Erkenntnisse zum „kleinen Unterschied“ sind, illustrierte Löffler-Ragg anhand eines Beispiels: „Bei der Interaktion mit weiblichen Patienten sollte beispielsweise berücksichtigt werden, dass ihre Symptome möglicherweise nicht den traditionell akzeptierten Darstellungen entsprechen. Denn eine ‚unspezifische Symptomatik‘ kann zu einer Verzögerung der Diagnose führen. Beispielsweise haben Männer mit COPD häufiger typischen Husten mit Auswurf als Frauen und werden daher schneller diagnostiziert.“

Im Folgenden umriss Löffler-Ragg jene geschlechtsspezifischen Unterschiede in Bezug auf die Lunge, die man bereits kennt.

Unterschiedliche Lungenvolumina. Die maximale Ventilationsfähigkeit von Frauen ist aufgrund der anatomischen Bedingungen (kleinere Lungen und Lungenvolumina) im Vergleich zu Männern limitiert.

Atembeschwerden werden bei Frauen häufig verkannt und nicht selten als „psychisch“ interpretiert. Somit gelangen sie oft erst spät zur richtigen Diagnose und entsprechenden Therapie.

Asthma tritt bei Frauen häufiger auf und ist sehr durch die Hormonstadien im Laufe des Lebens einer Frau beeinflusst.

COPD. Bei der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung, COPD, ist der klinische Verlauf bei Frauen oft anders als bei Männern. Frauen haben häufiger ein schweres Frühstadium, neigen vermehrt zu Exazerbationen (plötzliche dramatische Verschlechterung des Zustandes) und haben daraus resultierend vermehrt Krankenhausaufenthalte.

Rauchen. Bei gleicher Tabakexposition ist die Lungenfunktion bei Frauen deutlicher beeinträchtigt als bei Männern.

Häufigkeit. Es gibt Lungenerkrankungen, die fast ausschließlich bei Frauen auftreten, wie die sogenannte Lymphangioleiomyomatose. Die Lungenfibrose IPF ist zweimal häufiger bei Männern. Autoimmun bedingte interstitielle Lungenerkrankungen sind hingegen häufiger bei Frauen.

Lungenkrebs. Die Lungenkrebshäufigkeit steigt bei Frauen stark an. Dies ist nicht nur dem veränderten Rauchverhalten geschuldet. Interessanterweise finden sich unter Nichtrauchern mit Lungenkrebs mehr Frauen als Männer. Gleichzeitig hat sich gezeigt, dass Frauen in puncto Mortalitätsreduktion stärker als Männer von einem Lungenkrebsscreening profitieren.

Lungenhochdruck. Der sogenannte Präkapilläre Lungenhochdruck, eine Form des Lungenhochdrucks, die durch einen erhöhten Gefäßwiderstand in den Lungengefäßen gekennzeichnet ist, findet sich bei Frauen häufiger, verläuft aber bei Männern schlechter (das sogenannte Östrogen-Paradoxon).

Schlafbezogene Atemstörungen. „Gefährliches Schnarchen“ (Obstruktive Schlafapnoe) ist bei Frauen unterdiagnostiziert. Es tritt vor allem postmenopausal auf und kann zu einer höheren kardiovaskulären Morbidität führen. Löffler-Ragg: „Zudem können Frauen im letzten Schwangerschaftsdrittel unter einer obstruktiven Schlafapnoe leiden und sollten aktiv nach Schnarchen befragt werden.“

Mangel an Awareness

„Es gibt aber nicht nur einen Mangel an Daten, sondern auch einen Mangel an Awareness, also im Wahrnehmen und Beachten jener Verschieden- und Eigenheiten, die man heute schon kennt“, betont die Expertin. „Für weibliche Patienten gibt es Herausforderungen auf allen Ebenen der Interaktion im Gesundheitswesen, und als Klinikerinnen und Kliniker müssen wir die eigene Voreingenommenheit erkennen und bewusst darauf hinarbeiten, unbewusste und bewusste Vorurteile zu erkennen und zu beseitigen. Das Verstehen von Unterschieden ist ein wichtiger Schritt in Richtung geschlechtsspezifischer Präzisionsmedizin. Es ist notwendig, dass die Ergebnisse von Studien konsequent und angemessen nach Geschlecht und Gender aufgeschlüsselt werden. Und dafür braucht es bessere Awareness!“

ÖGP fördert geschlechterspezifische Forschung und Awareness

ÖGP-Generalsekretärin Löffler-Ragg wies abschließend auf die Bemühungen der ÖGP hin, diesen Forschungsbereich auf dem Gebiet der Pneumologie voranzutreiben. „Seit Kurzem gibt es in der ÖGP die Task-Force Frauen@Pneumologie, um Themen wie Geschlechter-Chancengleichheit, Diversität und Inklusion in allen Aspekten, wie auch die Beforschung geschlechtsspezifischer Unterschiede bei pneumologischen Erkrankungen zu unterstützen.“

Und am Kongress in Graz werden neben der erstmaligen Sitzung zu geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Pneumologie zwei frauen- bzw. gender-spezifische Auszeichnungen vergeben werden: der Geschlechterforschungspreis und der Preis für Karriereförderung für Frauen@Pneumologie.

Löffler-Ragg: „Die ÖGP sieht es als wichtige Aufgabe an, ein besseres Verständnis für Geschlecht und Gender bei Lungenkrankheiten zu fördern.“

Weitere Pressetexte zu Themen des Kongresses finden Sie laufend aktualisiert unter: www.ogp.at/Presse/presse-aktuell

Kontakt

Prim.a a.o. Univ.-Prof.in Dr.in Judith Löffler-Ragg

Generalsekretärin der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie
Leiterin Abteilung Pneumologie LKH Hochzirl-Natters
In der Stille 20
6161 Natters

Medizinische Universität Innsbruck / Innere Medizin II
Anichstr. 35
6020 Innsbruck
Tel.: +43 (0)512 504-86744

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